Paul Vogt versteht sein evangelisch-reformiertes Pfarrersein als Dienst. Seine zweite Pfarrstelle findet er 1929 in der Appenzeller Vorderländer Gemeinde Walzenhausen. Die sozialen Unruhen durch die Textilkrise belasten die Gesellschaft. Für ihn steht fest: Die sozialen Probleme entspringen der hohen Arbeitslosigkeit, dem Alkoholmissbrauch und dem mangelnden Gottvertrauen. Er kauft 1933 ein leerstehendes «Stickerhämetli» über dem Dorf und funktioniert es zum Evangelischen Sozialheim «Sonneblick» um, das bis heute besteht. In seinen Räumlichkeiten werden verschiedene Arbeits- und Bildungsprogramme angeboten und das christliche Zusammenleben gefördert. Ermöglicht wird dieses Projekt durch Vogts wachsendes Netzwerk aus Gönnern und Gleichgesinnten.
Vogt, seit 1936 in Zürich-Seebach, weiss Genaues über die Verhältnisse in Deutschland nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Er hat früh Einblick in die Auschwitz-Akten. Er rüttelt damit die Schweiz wach. Er schreibt Briefe, verfasst Gedichte, hält Vorträge und platziert unzählige Artikel in der Evangelischen Monatszeitung «Das Abendrot». Die Gräueltaten im 2. Weltkrieg führen ihn in eine Lebenskrise und prüfen seinen Glauben an die Menschheit. Doch sein Tatendrang wird gestärkt. Sein Sozialheim «Sonneblick» macht er zum Flüchtlingsheim. Bei vielen weiteren sozialen Initiativen ist er federführend: er organisiert Reisepässe für die Verfolgten, bucht ihnen Ausreisen in sichere Länder und kümmert sich um ihre seelsorgerischen und wirtschaftlichen Anliegen. Walzenhausen und weitere seiner Flüchtlingsheime werden zu sicheren Häfen für verfolgte Menschen.
Vogts humanitäre Mission, die in seinem tiefen Glauben an Jesus Christus wurzelt, bestimmt sein Leben. Sein Umfeld wird auf seine Ideale verpflichtet. Unbeirrt sensibilisiert er weite Kreise der Schweizer Bevölkerung für die Flüchtlingsnot und motiviert sie zum aktiven Handeln. Für ihn wird 1943 das schweizerische Flüchtlingspfarramt an der Streulistrasse 54 in Zürich geschaffen. Zwei seiner Initiativen sind in die Geschichte eingegangen. Zum einen ruft er die «Freiplatzaktion» ins Leben und startet damit den Aufruf an Familien, Flüchtlinge bei sich zu Hause aufzunehmen. Zum anderen sammelt er bedeutende Summen durch den «Flüchtlingsbatzen», dessen Ertrag für den Aufenthalt der Flüchtlinge bestimmt ist. Nach Ende des 2. Weltkrieges bleibt Vogt sozial engagiert und öffnet zum Beispiel 1956 die Türen des «Sonneblicks» für die Flüchtlinge des Ungarnaufstands. Bis zu seiner Pensionierung ist er Gemeindepfarrer in Grabs und Degersheim. Vogt stirbt 1984 im Alter von 84 Jahren in Zizers.
Flüchtlingspfarrer Paul Vogt, seit 1947 Dr. h.c. der Universität Zürich, wurde von seinen Zeitgenossen widersprüchlich beurteilt: Den einen galt er als innovativer Sozialpionier und begnadeter Dichter und Schriftsteller, den anderen als schwärmerischer Fantast und autoritärer Patriarch. Eines steht allerdings fest: Durch sein soziales Engagement, seinen
unbeirrbaren Tatendrang und seine vielfältigen Initiativen hat Paul Vogt der Schweizer Geschichte des 20. Jahrhunderts seinen Stempel aufgedrückt.