Margrit Besmer und Willi Kobe Gemeinsam engagiert für Frieden und Menschenrechte (1934 – 1995) (1899 – 1995)

«Krieg ist ein Riskio, Frieden schaffen ist ein Risiko. Ich nehme lieber das Riskio des Frieden-Schaffens in Kauf, als das Risiko vom Krieg-Schaffen.»

Willi Kobe gehört als religiöser Sozialist zu den führenden Persönlichkeiten der schweizerischen Friedensbewegung zwischen 1930 und 1970. Zusammen Margrit Besmer setzte er sich unermüdlich für den Frieden ein.

Überblick

Fr/It

Französisch

Willi Kobe et Margrit Besmer Kobe se sont influencés l’un l’autre. La jeune pédagogue curative et le pasteur pacifiste se sont rencontrés grâce à leur travail pour le Mouvement international de la réconciliation.

Mariés, ils ont œuvré sans relâche pour la paix. En tant que religieux socialiste, Willi Kobe a été l’une des principales figures du mouvement pacifiste suisse entre 1930 et 1970.

Après la Seconde Guerre mondiale, il s’est engagé, dans l’esprit de l’anti-militarisme, en faveur du service civil, de l’interdiction des exportations d’armes et du désarmement nucléaire. Margrit Besmer pensait que les initiatives individuelles pouvaient conduire à un changement positif, à la fois avec et pour les autres. Cette conviction lui a permis à de multiples reprises de rallier son entourage au travail pour la paix.

Italienisch

Willi Kobe e Margrit Besmer Kobe si sono influenzati a vicenda. La giovane educatrice e il pastore pacifista si conobbero grazie al loro lavoro per il Movimento Internazionale della Riconciliazione.

I coniugi si sono sempre adoperati per la pace. Willi Kobe, socialista religioso, fu una delle personalità più influenti del Movimento svizzero della pace tra il 1930 e il 1970.

Dopo la seconda guerra mondiale, mosso da uno spirito antimilitarista, si impegnò a favore del servizio civile, del divieto d’esportazione d’armi e del disarmo nucleare. Margrit Besmer credeva che le iniziative dei singoli potessero indurre un cambiamento positivo da portare avanti con gli altri e per gli altri. È così che riuscì a coinvolgere il suo entourage nella sua azione per la pace.

Mit seinem Engagement für den Frieden sorgt Willi Kobe nicht immer für Frieden. Häufig eckt der Pfarrer an: sei dies wegen einer 1.-August-Rede, in welcher er bereits 1922 die Einführung der AHV und des Frauenstimmrechts fordert oder wegen antimilitaristischer Propaganda. Seine Abneigung gegenüber dem Militär entwickelt Willi Kobe im Jahr 1913. Der damals 14-Jährige nimmt an einer Kadettenübung am Morgarten teil. Dieses Erlebnis führt zur «Bekehrung zum Pazifisten». Seither ist es Kobes Vision zeitlebens, eine friedliche und sozial gerechte Schweiz der «aufbauenden Kräfte» zu schaffen. Willi Kobe wird durch sein langjähriges Engagement in der Friedensarbeit zu einem der wichtigsten Sprachrohre der schweizerischen Friedensbewegung. In den 1930er-Jahren arbeitet er in der Schweizerischen Zentralstelle für Friedensarbeit. Nach dem 2. Weltkrieg engagiert er sich im Sinne des Antimilitarismus für den Zivildienst, für ein Waffenausfuhrverbot sowie für die atomare Abrüstung. Die Beschreibungen seiner Zeitgenossen vom streitbaren pazifistischen Pfarrer Willi Kobe könnten wohl nicht weiter auseinanderliegen. In den Fichen des Schweizer Staatsschutzes wurde er als «roter Heiland» geführt, anderswo galt er als «roter Teufel».

In vielfältiger Weise setzte sich Margrit Besmer, die Frau von Willi Kobe, für den Frieden ein. Sei dies für die Initiative eines Waffenausfuhrverbotes oder die Verhinderung des Waffenplatzes Rothenthurm im Kanton Schwyz. Der Radius ihres Engagements reicht in späteren Jahren bis nach Lateinamerika. Sie exponiert sich nicht als Rednerin oder Meinungsmacherin. Sie streicht nicht ihre eigene Persönlichkeit heraus im Kampf für den Frieden. Sie glaubt an die Initiative der Menschen selbst, eine positive Veränderung herbeizuführen –und zwar mit-und füreinander. Margrit Besmer Kobe schafft es so immer wieder, ihr Umfeld in Bezug auf verschiedenste Ungerechtigkeiten zu sensibilisieren.

Willi und Margrit haben sich gegenseitig geprägt. Die junge Logopädin sowie Heilpädagogin und der pazifistische Pfarrer lernen sich über ihre Arbeit für den Internationalen Versöhnungsbund kennen. Wie Willi Kobe ist sie der Überzeugung, dass es notwendig ist, hartnäckig darauf zu bestehen, dass sich die Kirchen für Gerechtigkeit und Solidarität einsetzen. Als die katholisch Geborene wegen eines Krebsleidens ihren Beruf aufgeben muss, engagiert sie sich umso mehr für die Solidaritätsarbeit in Lateinamerika. Dank ihrer Begabung, Menschen zusammenzubringen, kommt es bei ihr zu Hause immer wieder zu Gesprächsrunden mit Gästen aus aller Welt. So schuf Margrit Besmer Kobe ein Netzwerk von engagierten Bekannten, die sich ihrerseits wieder für den Frieden einsetzten.

  • Willi Kobe wird als erster von zwei Knaben in Zürich-Riesbach geboren.
    1899
  • Nach einer Lehre als Textilkaufmann holt er die Matura nach und studiert Theologie in Zürich.
    1914
  • Während seiner Vikariatszeit in Gränichen sorgt seine pointierte 1. August Rede für grosses Aufsehen.
    1922
  • Willi Kobes viel beachtetes Buch über Mahthma Ghandi erscheint. Darin entwickelt der die Leitplanken für sein religiös-pazifistisches Denken.
    1925
  • Beginn von Willi Kobes Tätigkeit als Pfarrer in Zürich-Oerlikon. Neben seiner Pfarraufgaben widmet er sich intensiv und aktiv der Friedensarbeit.
    1932
  • Nach dem Tod von Leonard Ragaz übernimmt Willi Kobe die Leitung der Zentralstelle für Schweizerische Friedensarbeit.
    1946
  • Willi Kobe sorgt für Aufsehen: er lanciert die Chevallier-Initiativen und gründet die vielbeachteten Ostermärsche für die atomare Abrüstung.
    1960
  • Willi Kobe verfasst seine Autobiographie, die in Auszügen erscheint.
    1974
  • Willi Kobe stirbt im hohen Alter von 97 Jahren.
    1995

Willi Kobes Standpunkte

In einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen spricht Willi Kobe über seine Anliegen. Die folgenden beiden Ausschnitte geben eine Antwort zu Kobes wichtigste Standpunkten gegenüber Pazifismus und Versöhnung.

(Quelle: © 2020 Schweizer Radio und Fernsehen, lizenziert durch Telepool GmbH Zürich)

Wie wurdest du zum Pazifisten?

Was bedeutet Versöhnung?

Mahatma Ghandi

In den 1920er-Jahren verfasst Willi Kobe ein theoretisches Werk über Mahatma Gandhi. Im Büchlein mit dem Titel «Mathatma Gandhis Welt- und Lebensanschauung» entwickelt er seine ersten Überlegungen zu Pazifsmus, Religion und Glaube. Besonders beeindruckt ihn Gandhis Gottverständnis:

«Wie die Religion für Gandhi keine weitere Form und keinen weiteren Namen hat und über allen bekannten Religionen steht, so auch sein Gott. Als der Absolute, die Wahrheit und die Liebe selber, steht er über allen Göttern und vereinigt alles in sich. Diese Auffassung von Religion und Gott kann man die Privatreligion Gandhis nennen.» (S. 15)

Diese Privatreligion richtet sich am Massstab der Sittlichkeit aus, und der Dienst an Gott ist der Dienst an der ganzen Menschheit. Diese zentralen Gedanken werden für das Engagement Kobes Zeit seines Lebens ihre Bedeutung behalten.

Gandhis universelle Religionsbegriff nimmt Kobe auf und interpretiert in ihm folgenden aus christlicher Sicht, bis zum Schluss des Werks Gandhi zum Christen wird, ohne dass dieser es selber direkt aussprechen würde:

«Überschauen wir an dieser Stelle die Lebensanschuung Gandhis, dann fällt uns auf, welch mächtigen Einfluss die Bibel mit ihrer frohen Botschaft auf Gandhi ausübte. Man darf wohl sagen, dass sie ihm zum Führer und Ratgeber in allem Wirken und Schaffen für das öffentliche Leben Indiens wurde, wie sie ihm auch den Gewissensspiegel in der Bergpredigt bot.» (S. 153)

Der Text hat kurz nach seinem Erscheinen eine beachtliche Verbreitung gefunden und den Namen Willi Kobe in christlichen und religiös-sozialen Bewegungen bekannt gemacht. Er ist heute in vielen Bibliotheken für eine komplette Lektüre greifbar.

Literaturhinweis:
Kobe, Willi: Mahatma Gandhis Welt- und Lebensanschauung, Hamburg 1925.

Willi Kobe erzählt aus seinem Leben

In seiner Autobiografie «Ein reiches Leben» schildert Willi Kobe ausführlich und pointiert die wichtigsten Stationen in seinem Leben und Wirken. Der Text wurde bisher nicht publiziert, sondern ist als Entwurfsfassung im Sozialarchiv Zürich einsehbar.

Die folgenden Ausschnitte geben einen Einblick in zentrale Passagen seiner Schilderungen.

Die Anfänge

Auf den ersten Seiten berichtet Kobe von seiner Geburt und Jugend, und wie es dazu kam, dass er Kaufmann wurde.

«Durch eine, für meine Mutter schwere Geburt, wurde ich in unserem Hause an der Delphinstrasse 9, am 15. Februar 1899 in diese Welt geworfen. [...] Gemäss Erzählungen meiner Mutter muss ich ein ausnehmend ruhiges und verständiges Kind gewesen sein, das bald trocken wurde und seine Selbständigkeit behauptete. [...] Unser grosser Garten bot mir Gelegenheit zu vielem Draussensein zu allen Jahreszeiten, sodass ich nicht auf die Strasse angewiesen war. In der Stube, in welcher meine Mutter auch ihre Schneiderei betrieb, in der Nähe des im Winter prächtig warmen weissen Kachelofens, hatte ich meinen Spielplatz. Als Spielzeug dienten verschiedengeformte Holzklötzchen, die Vater aus der Fabrik mitbrachte, mit denen sich Häuser, Türme und Höfe bauen liessen. [...]

Bald waren die drei Jahre Sekundarschule überstanden. Was nun weiter? In eine höhere Schule wollte ich nicht übertreten, denn ich hatte von der Schule genug. So blieb nur der Eintritt in eine Lehre übrig. Aber in welche? Auf Anraten von Vater und weil wir durch Tante Fine Beziehungen zur Textilfirma Wirthlin und Cie. hatten, wurde diese angefragt, ob sie mich als kaufmännischen Lehrling aufnehmen würden. Sie waren dazu willig. So begann ich nach Ostern 1914 meine kaufmännische Lehre. [...]»

Militär und Pazifismus

Der Pazifismus spielte im Leben und Wirken Kobes eine entscheidende Rolle. Im folgenden beschreibt er sein «Erweckungserlebnis» sowie weitere Episoden aus seiner Berührung mit dem Schweizer Militär.

«Zum Abschluss der Kadettenausbildung gab es im Oktober einen grossen Ausmarsch ins Gebiet des Aegerisees. Wir fuhren mit der Bahn nach Zug. Von dort ging es an einem heissen und schönen Herbsttag nach Aegeri hinauf, wo ein kurzer Halt gemacht wurde, wir aber unseren Durst nicht löschen und unsere Mattigkeit nicht erholten konnten. Dann marschierten wir weiter gegen den Morgarten. Dort gebe es ein Gefecht, hiess es. Tatsächlich kam in der Nähe des Denkmals der Befehl zum ausschwärmen der Schützenlinien. Bald fing das Geknatter unserer Gewehre an, da der "Feind" in Sicht gekommen war. Wir stürmten mit Hurra! die Stellung des Gegeners und vertrieben ihn. - Aber, sann ich auf dem Weitermarsch: ist es nicht merkwürdig, dass Du, seitdem Du im "Kriege" standest, bis jetzt nichts mehr von Durst, Mattigkeit und Hunger merkst? Vorher meintest Du umfallen zu müssen vor Mattigkeit. Jetzt, da Du auf einen anderen losgingst und ihn umbringen wolltest, jetzt ist keine Müdigkeit, kein Durst, nichts Hinderndes mehr festzustellen! Was ist denn mit Dir los? Was bist Du für ein Mensch? -- Wie verkehrt ist das alles, wie falsch und unmenschlich. Nein, niemehr will ich mit dem Soldatenwesen, mit dem Menschentöten etwas zu tun haben! Der Antimilitarist war am Heldendenkmal von Morgarten geboren worden. [...]

Die ersten Ferientage blieben mir unvergesslich, denn während denselben brach der erste Weltkrieg aus. Der Landsturm wurde eingezogen und die teilweise schon angegrauten Soldaten sammelten sich auf dem Kasernenplatz. Da ich ja Ferien hatte, ging auch ich hin, um zu sehen, was da vor sich ging. Ich kam gerade zur Fahnenübergabe und Eidablegung. Aber dieser feierlich-steife Vorgang widerte mich an. Wofür haben sich diese Männer aus ihren Familien, von ihrer Arbeit reissen lassen? Wofür setzen sie möglicherweise ihr Leben ein? Ich sah keinen zureichenden Grund. Was man da sprach von Ehre der Armee und Landesverteidigung liess mich kalt. Warum töten, Dörfer und Städte zerstören und Länder verwüsten, weil irgend eine Regierung, ein Herrscher mehr Macht über andere erreichen will? Nein, solche Unternehmungen sind nicht menschenwürdig. Man darf sie nicht einfachen geschehen lassen und erst noch stolz darauf sein. Solches sollte aus der Menschheit verschwinden! -- Dies waren etwas die Gedanken, die mich auf dem Heimweg erfüllten, wobei es schien, als ob die Luft nach der Zeremonie auf dem Kasernenplatz eine andere Farbe angenommen habe. [...]

Irgendwann in den ersten Nachkriegsmonaten muss es gewesen sein, dass ich zur Musterung aufgeboten wurde. [...] Einige Monate später wurde ich dann zur Rekrutenschule nach Basel einberufen. Ich reise mit meinem Köfferchen, das die vorgeschriebenen Sachen beinhaltete, unter grossem inneren Widerstand dorthin, immer noch eine Hoffnung im Herzen, dem Militärmoloch entfliehen zu können. Und tatsächlich ereignete sich dieses "Wunder". Drei Tage wurden wir Neueinberufenen in der Kaserne und auf ihrem Hofe herumgetrieben, manchen turnerischen Prüfungen unterworfen und schliesslich kam es noch zur sanitarischen Untersuchung. Ein Leutnant hörte mein Herz ab, zögerte etwas, als eben ein Oberstleutnant zu uns trat und frug, was los sei. Der Untersuchende brachte seine Beobachtung an. Der Oberst frug mich darauf, was ich sei. Ich antwortete: "Theologiestudent". Er verstand mich falsch und meinte, dass ich Geologie gesagt habe. Als ich ihm seinen Irrtum berichtigte, wandte er sich an den Leutenant: "Lassen Sie ihn laufen. Es rentiert sich doch nicht einen Theologen auszubilden!". Dadurch erhielt ich einen Eintrag ins Militärdienstbüchlein: Dienstuntauglich! Bald darauf sah ich mich entlassen in den Anlagen sitzen, die zum SBB-bahnhof hinauf führen, auf den nächsten Zug nach Zürich wartend, dankbar der Zeit, Kraft und Sinnvergeudung des Militärdienstes entgangen zu sein. [...]»

Soziale Hilfe

Schon in seiner Jugendzeit erwacht in Kobe der Wunsch, sozial tätig zu werden. Er schliesst sich dem Christlichen Verein junger Menschen (CVJM) an, nimmt an Aktionen teil und vertieft Fragen zum Frieden mit seinen Kameraden. Schliesslich erwächst der Wunsch, missionarisch tätig zu werden und zu diesem Zweck ein Theologiestudium zu beginnen.

«Auf die Weihnachtszeit hin sammelten wir Geld und studierten in kleinen Gruppen Weihnachtslieder ein. Das Geld verwendeten wir zum Ankauf kleiner Christbäume und von bescheidenem Schmuck für sie, wie acuh zur Beschaffung bekömmlicher Festbissen, welche wir dann, nach einer vom Pfarramt Neumünster bezogenen Liste, am Festabend einsamen Alten, chronisch kranken Gemeindemitgliedern oder kinderreichen Familien brachten, diese zugleich mit unseren Weihnachtsliedern erfreuend. Diese Besuche eröffneten mir zum ersten Mal einen Einblick in menschliche Bedürftigkeit, Einsamkeit und Not, und waren gewiss unterschwellig für meine spätere Gesinnungshaltung und Ausrichtung meiner Lebensaufgabe mitbestimmend. [...] Wir Jungen standen da mittendrin. Unsere Welt- und Menschenanschauung formte sich unter den Auseinandersetzungen der Tagesmeinungen mit den engbegrenzten Verhältnissen. Wir ereiferten uns während den Vereinsstunden, aber besonders nach ihnen weit bis in die Nacht hinein auf dem Heimweg über Militarismus, Krieg, Kapitalismus, Sozialismus, Kommunismus, Revolution und was sonst noch in der Luft lag. [...]

(Der) äusserliche Anlass zum Theologiestudium ist darin zu sehen, dass ich als Missionar der Kanaresischen Mission nach Indien gehen wollte. Dass mir dieses Ziel so bestimmend vorschwebte, lag gewiss an einem inneren Prozess, der in mir ausreichen wollte. Stichwortartig zusammengefasst lässt dieser etwa folgendermassen beschreiben: der tobende Weltkrieg, seine Hekatomben von Toten und Verstümmelten, welch letztere ich dann und wann in den unser Schweizerland durchfahrenden Zügen mit Schwerverletzten sah, entzündete und hielt in mir die Frage nach dem Sinn des Lebens wach. Meine Abscheu vor dem Militär und allem, was mit ihm zusammenhing, verlangte nach einer Begründung meiner Weltanschauung, die dem Bilde vom Menschsein, wie es mir im patriotischen- und Militärdenken entgegentrat, vermochte ich etwas Menschlicherem entgegenzutreten. Meine Abscheu vor dem Dämon "Geld", erkannt in dem, was sich als Kapitalismus menschen- und weltbeherrschend und zerstörend in bescheidenem Stil mir in meiner persönlichen und kaufmännischen Erfahrungen entgegentrat und sich im Arbeitschicksal meiner Eltern bedrückend darstellte, liess mich nach einer besseren Gestaltung des gesellschaftlichen und politischen Lebens Ausschau halten, welche ich damals schon irgendwie in genossenschaftlichen und sozialistischen Gebilden sah. [...]»

Die 1. August Rede

Nach abgeschlossenem Theologiestudium kommt Kobe in seiner ersten Amtsstelle nach Gränichen im Kanton Aargau. Dort erhält er die Möglichkeit, als junger Vikar die 1. August Predigt zu halten. Seine Ausführungen gehen aber weit über religiöse Themen hinaus und provozieren; sie finden schliesslich sogar grosses Presseecho.

«Mit grossem Schwung hielt ich auf dem Dorfplatz meine Rede, eingeleitet und umrahmt vom patriotischen Gesang eines Männerchores und den Märschen eines Blasorchesters. Ich führte etwas aus: ausgehend vom Rütligeist, dem Symbol für den Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit, der in der Einigkeit des Volkes zu führen ist, rief ich zur Zusammenarbeit der Arbeiter und der Bauern auf. Die Freiheit ist in Gefahr durch die lex Häberlin. Sie muss deshalb bekämpft werden. Es ist eine gerechte Demokratie zu schaffen, indem auch die Frauen als volle Bürgerinnen des Landes erkannt werden müssen. Die soziale Aufgabe darf nicht vernachlässigt werden. Darum muss an die Schaffung einer Alters- und Invalidenversicherung gegangen werden. Der Ausbau der Fabrikgesetzgebung hat eine soziale Ansetzung der Arbeitszeit und genügend Ferien vorzusehen, damit man auch von dieser Seite her der Tuberkulose wehren kann. Alles dies kostet Geld. Woher nehmen? Durch eine gerechte Bundessteuer und das Abstellen des Unfuges jährlich 80 bis 100 Millionen Franken fürs Militär auszugeben. Gerade die kleine Schweiz wäre berufen an der Festigung des Völkerrechts mitzuarbeiten und durch das Zeichen der eigenen Abrüstung den Weg zum Völkerfrieden zu weisen. Diese Ansprache muss wie eine Bombe auf die etwa 300 Zuhörer gewirkt haben. [...]»

Liebe und Heirat

In wenigen, kurzen Abschnitten spricht Kobe ausführlicher über sein Privatleben. Hier einer der lebendigsten Ausschnitte.

«Während der Sekundarschulzeit im Schulhaus Hofacker wurde mir die Freude zuteil, dass ich dort auch einen "Schatz" hatte, wie man damals noch sagte. Es war dies ein Mädchen in der Parallelklasse, das mir durch seine ruhige, einfache Art besonders zusagte, welche noch durch ein geheimnisvolles Mona-Lisa-Lächeln vertieft wurde. Das Ganze blieb aber eine Verliebtheit auf Distanz, eine Begegnung auf dem teilweise gemeinsamen Schulweg, aber auf dem anderen Trottoir, mit dem ich nur mehr oder weniger verschämte Blicke verbanden. Diese stille Gemeinschaft gipfelte in einem gemeinsamen Spaziergang der beiden Klassen zum Eisfeld Zollikon, wo ich der Angebeteten die Schlittschuhe anziehen durfte und sie mir einige Runden auf dem Eise gewährte. Es war dies Martha Kaegi [...] Es war zu Beginn meines letzten Studiensemesters. Ich hatte eine öffentliche Vorlesung bei Prof. Ludwig Köhler belegt und suchte im Vorlesungszimmer einen Platz, als mein Blick auf Martha Kaegi fiel, die auch an diesem Kurs teilnehmen wollte. Welche Freude! Natürlich sassen wir zusammen und gingen miteinander auf den Heimweg, der für beide in gleicher Richtung führte. So ergab sich wie selbstverständlich, dass ich es wagte sie, um die Zeit meiner Ordination herum, auf dem Heimweg von einem Predigtbesuch in Fluntern, um ihre Einwilligung zur Lebensgemeinschaft zu bitten. [...]»

Arbeit in Oerlikon

Über 30 Jahre lang wird Kobe Pfarrer in Oerlikon sein. Viele seiner Initiativen entstehen in diesem Umfeld und prägen sein Leben.

«Wenn ich jetzt, anhand vorliegender Akten, zurückschaue, was die ersten Jahre meiner Tätigkeit in Oerlikon alles erfüllte, wobei gewiss manches keinen papierenen Abdruck hinterliess, so muss ich nur staunen. So etwa die Mitarbeit im Blauen Kreuz und seinen Jugendgruppen und in der Sonntagschule, (sowie) die gelegentlichen Vorträge und kursmässigen Besprechungsabende im Volkshaus Baumacker über zeitgeschichtliche, wirtschaftliche und soziale Fragen und ihre politischen Zusammenhänge [...] In der Gemeinde tobte vom Beginn meiner Tätigkeit an im Hintergrund ein stiller aber zäher Kampf gegen mich und meine Tätigkeit, angeführt von den Zunftgewerblern, den Frontenoffizieren und den von ihnen Abhängigen, zu deren Sprecher sich vorallem die Freisinnige Partei gemacht hatte. Dann und wann merkte man öffentlich etwas davon in einer Zeitungsnotiz, oder in der Kirchenpflege wurde darüber eine Andeutung verloren. [...]

Die durch Kriegsausbruch (1939, Anmerk.) von ihrer Arbeit und ihrem Verdienst weggerissenen und unselbständig Erwerbenden hinterliessen oft ihre Familien in ungeordneten Umständen oder dass sie ohne jegliches Einkommen waren. Selbständig Erwerbende sahen ihr Geschäft absterben und waren oft unfähig ihr Gewerbe, das die Familie ernähren sollte, weiter zu führen und mussten mindestens zeitweilig schliessen, bis die Sachlage überschaubar geworden war. Deshalb wuchs das Heer der Rat- und Unterstützung Suchenden wie ein Sturzbach an, den es zu kanalisieren galt. Dazu organisierte ich die Kreiskommission für Kriegsfürsorge Zürich 11 am 8. September 1939, in welcher die Schule, das Fürsorgeamt, die Amtsvormundschaft, der Frauenverein, die reformierte Kirchgemeinde und die römisch-katholische Caritas vertreten waren. Wir richteten im Kreisgebäude 11 ein Büro ein, das ehrenamtlich arbeitete und unter meiner direkten Leitung und Verantwortung von hilfreichen privaten Frauen betrieben wurde. [...]»

Glaube in Theorie und Praxis

Zu anderen Theologen verbindet ihn ein freundschaftliches Verhältnis, jedoch bemängelt die mangeldne Verbindung zwischen theologischer Theorie und praktischer Anwendung.

«Ich bemühte mich die Lehren (der wissenschaftlichen Theologen wie Karl Barth in Basel, Anmerk. Hg.) kennen und verstehen zu lernen. Aber bald wurde ich in meinem Mitschwingen dadurch gehemmt, dass ich immer wieder auf die "Kirche" stiess, wo es eigentlich in diesen entscheidenden Zeiten um das "Reich Gottes" hätte gehen sollen. Dies widerte mich mit der Zeit an und stiess mich ab, schien es mir doch, dass diese Kirchendiskussionen und die damit in Verbindung stehenden Theologien nur deshalb so stark im Vordergrund standen, damit die Herren Theologen sich nicht brauchten mit den argen, die Zeitgeschichte erfüllenden übrigen Dingen ernsthaft auseinander zu setzen. [...]»

Soziale Initiativen

Während dem 2. Weltkrieg ist Kobe stark in der Flüchtlingshilfe involviert. Er übernimmt leitende Positionen und verfasst darüber hinaus Zeitungsartikel und Berichte über seine Tätigkeit und seine Weltanschuungen (u.a. in der Zeitschrift «Neue Wege», dem Zentralblatt der christlich-sozialen Bewegung).

«(Es) wurde am 3. Mai 1938 die Auskunftsstelle für Flüchtlinge gegründet, mit Sitz an der Gartenhofstrasse 7, wo regelmässige Sprechstunden für die Hilfsbedürftigen eingerichtet wurden. Als Verbindungsmann mit der schweizerischen Friedensbewegung wurde auch ich in die Trägerschaft der Auksunftsstelle gebeten [...] Bis Ende September 1938 waren wir 37 Flüchtlingen beigestanden, halfen mit Geldbeiträgen zur Weiterreise, zahlten Unterhaltsbeiträge aus, denn die Flüchtlinge durften nicht arbeiten, trugen Arzt- und Spitalkosten und vermittelten auch einzelne von ihnen Freitische da und dort in der Stadt und versorgten sie mit Wäsche und Kleidung. Schliesslich schlossen wir uns auch der Schweizerischen Zentralstelle für Flüchtlingshilfe an [...] Bald hatte ich die Leitung unserer Auskunftsstelle zu übernehmen und etwa mit dem Kriegsende auch die Fürsorge und Rechnungsführung für unsere Betreuten, da bei dieser Gelegenheit alle reisefähigen Flüchtlinge in ihre Heimatländer zurückkehren mussten [...]

Die kriegsschwangeren Zeiten liessen mich nicht in Ruhe. So versuchte ich nach Möglichkeit in der Presse, zur Aufklärung oder Information, wie man heute sagt, Artikel über das weitläufige Thema Militär, Rüstung, Krieg, Frieden unterzubringen. [...]»

Atomwaffen und Ostermärsche

Die Ostermärsche waren eine der nach aussen sichtbarsten Initiativen Kobes. In den 1960er-Jahren organisierte er regelmässig Ostermärsche, die gegen Atomwaffen demonstrierten und gerade zu Beginn viele Anhänger fanden.

«Da war das Problem Vietnam! Dieses Land hatte durch die kriegerischen Aktionen der USA seit 1954 immer schrecklicher zu erfahren, was ein moderner Krieg, auch wenn Atomwaffen nicht gebraucht wurden, heute für ein Land und seine Bewohner zu bedeuten hat. Auf Anregung des IFCL-sekretariates in den USA, erliess die Pfarrergruppe des KFB 1965 einen Aufruf an die Kollegen aller schweizerischen Kirchen und Gemeinschaften sich zum Committee of Conscience on Vietnam zu bekennen, das in der ganzen Welt Zustimmung der Geistlichen aller Konfessionen sammelte, um die Kriegführenden in Vietnam zu einem raschen und gerechten Frieden aufzurufen. Dieser Aufruf erschien ann gross in der New Yorker Times mit tausenden von Unterschriften aus aller Welt. Wir durften 156 Namen beisteuern. [...]

Seit dem menschenmörderischen Geschehen in Japan liess mich die Frage nicht mehr los, welche Auswirkungen dieses in der Gegenwart und der Zukunft auf der politischen Ebene haben wird, insbesondere auf das Kriegs- und Friedensproblem. Im Mittelpunkt stand die Frage: wie werden sich nun in den verschiedenen Nationen, auch in der Schweiz, die Generalstäbe zu diesen neuen Möglichkeiten der Kriegsführung verhalten? [...]

Das Anliegen der Wacht gegenüber den Atomgefahren wurde durch die Ostermärsche wachgehalten, die besonders das Jungvolk zur Beteiligung aufriefen. Von 1963 bis 1967 führten wir vier solcher durch, nach Genf, Basel, Zürich und Bern. Während dieser Epoche konnten wir feststellen, dass nach und nach der eher linke Flügel der Schweizerpresse unsere Bestrebungen gegenüber freundlicher gesinnt wurde, sodass wir für die Zukunft annehmen durften, mit ihr als einer Hilfskraft in unserem Kampf rechen zu dürfen. Doch es kam nicht zu einer Erprobung unserer Hoffnung. [...] Die Osterdemonstrationen gestalteten sich mehr und mehr zu einem farbigen "Fastnachtsumzug" um [...] Da entschloss ich mich 1968, die Ostermärsche aufzugeben [...]»

Die religiös-soziale Bewegung

Zeitlebens bezeichnete sich Kobe als religiösen Sozialisten, allerdings war er immer zurückhaltend, wenn es darum ging, sich Vereinigungen direkt anzuschliessen. Die politischen Ränkespiele und grosse Öffentlichkeitsarbeit über die Friedensthemen hinaus behagten ihm nicht.

«Mit dieser Bewegung ist es mir eigenartig ergangen. Seit ich bewusst denken konnte, habe ich mich immer als einen Sozialisten verstanden. [...] Früh geweckt durch meine kaufmännische Lehre und durch das Geschehen des 1. Weltkrieges, wurde ich auf die wirtschaftlich-gesellschaftlich-politischen Zusammenhänge aufmerksam, wie auch auf die Klammer, die dies alles in seinen Widersprüchen zusammenhielt, das System des Kapitalismus. Es blieben zwar die daraus aufsteigenden Fragen nur so etwas wie eine Geräuschkulisse um mich, weil die näherliegenden, übrigen Fragen meines Tagesablaufes praktisch überlegt angegangen und gelöst werden mussten. Deshalb fühlte ich mich nicht dazu gedrängt, mich den damaligen Jungsozialisten anzuschliessen, denn sie stiessen mich eigentlich ab durch ihren Lärm. (...) Als Theologiestudent, durch Vorlesungen bei Prof. Dr. L. Ragaz besonders, wurde ich mit dem Religiösen-Sozialismus bekannt, ganz abgesehen von den Aktionen und Reaktionen seiner Gruppen, von denen die Zeitungen berichteten. Auf diesem Weg wurde ich ein Leser der "Neuen Wege" (religiös-sozialistische Zeitschrift, Anm.) und ich verstand mich als einen religiösen Sozialisten. Als ein solcher suchte ich die Gemeinschaft mit gleichgesinnten Kollegen, arbeitete mit ihnen zusammen in den Friedensgruppen, in der Kirchensynode und ihren Fraktionen. Aber nie war ich ein Mitglied der "Religiös-Sozialen Bewegung der Schweiz" geworden [...]»

Meinungen und Perspektiven

Im folgenden Videobeitrag äussern sich Friedensarbeiterinnen und-arbeiter sowie eine Historikerin zum Leben und Wirken von Willi Kobe und Margrit Besmer. Die Interviews wurden als Teil eines Projektes aufgenommen und können in voller Länge beim Verein «Appenzeller Friedens-Stationen.ch» eingesehen werden.

Leseempfehlungen

In den folgenden Publikationen finden Sie weitere Informationen zu Willi Kobe und Margrit Besmer:

  • Kobe, Willi, Ein reiches Leben. Autobiografie. o.J.
    Willi Kobe schildert in dieser Autobiografie sein Leben und Werk. Der Text kann im Sozialarchiv Zürich konsultiert werden.
  • Rückblick für die Zukunft. Wandlungen und Wirken des Schweizerischen Friedensrates in 35 Jahren, Schweizerischer Friedensrat (Hg.) (Schriftenreihe, Band 7), Ostermundingen 1981.
    Willi Kobe beschreibt in einem kurzen Kapitel die Vorgeschichte und die wichtigsten Initiativen des Schweizerischen Friedensrates.
  • Brassel, Ruedi, Leuenberger, Martin: Willi Kobe - Pazifist, Sozialist und Pfarrer. Eine Lebensgeschichte der Friedensbewegung, Luzern 1994.
    Basierend auf Willi Kobes Autobiografie bieten die beiden Historiker Ruedi Brassel und Martin Leuenberger einen fundierten Überblick über sein Leben und Werk. Die Lektüre ist als Einstieg zu Willi Kobe sehr zu empfehlen.