Gertrud Kurz Flüchtlingsmutter (1890 – 1972)

«Es wurde inzwischen viel über die grausame Zeit geschrieben. Die Leute wollen die Wahrheit wissen und müssen sie wissen. Nun aber sollten wir vorwärts schauen und achten, dass so etwas nie wieder passiert.»

Sprechen und zuhören. Das Leben von Gertrud Kurz, der Flüchtlingsmutter, wie man sie später nennen wird, steht unter dem Zeichen ihrer Gabe, den Verfolgten des 2. Weltkriegs zuzuhören und deren Geschichten mit dem Kopf und dem Herzen wahrzunehmen.

Überblick

Fr/It

Französisch

Parler et écouter – Gertrud Kurz, la mère des réfugiées comme elle sera rebaptisée plus tard, avait le don d’écouter les persécutés de la Seconde Guerre mondiale et d’entendre leurs histoires avec sa raison et son cœur. Pendant les années de guerre, elle s’est parfois rendue quotidiennement auprès de la police suisse des étrangers pour plaider la cause de réfugiés en instance d’admission ou d’expulsion. Elle n’a jamais hésité à critiquer sans équivoque une politique qu’elle considérait comme manifestement injuste. En luttant pied à pied pour la cause des réfugiés, Gertrud Kurz a honoré au plus haut point la vocation humanitaire de la Suisse au milieu du XXe siècle.

Italienisch

Parlare e ascoltare: a contraddistinguere Gertrud Kurz, successivamente definita la madre dei rifugiati, era il dono di saper ascoltare i perseguitati della seconda guerra mondiale e comprenderne le storie con la mente e con il cuore. Negli anni della guerra, per un periodo si recò quotidianamente dalla polizia per gli stranieri affinché alcuni profughi venissero ammessi in Svizzera, oppure non fossero respinti. Non ebbe mai paura di criticare apertamente una politica sui rifugiati che lei considerava profondamente ingiusta. Combatté per cambiare il destino dei singoli, seguendo argomentazioni pratiche. Così facendo, Gertrud Kurz influenzò profondamente l’impegno umanitario della Svizzera nella metà del XX secolo.

Während dem 2. Weltkrieg setzt sich Kurz für die vielen Flüchtlinge ein, die täglich die Schweiz erreichen. Sie spricht mit der schweizerischen Fremdenpolizei, damit einzelne Flüchtlinge in die Schweiz hereingelassen, respektive nicht ausgewiesen werden.

Bald ist sie in der Schweiz weitherum bekannt. Dies gibt ihr den Handlungsspielraum, auf die oberster Ebene der Schweizer Politik einzuwirken. Im August 1942 werden die Schweizer Grenzen aufgrund der grossen jüdischen Flüchtlingsströme vorerst komplett geschlossen. Kurz reist ohne zu zögern zu Bundesrat Eduard von Steiger. Dies an einem Sonntag, während dieser in seinem Ferienhaus über dem Genfersee weilt. Ihr gelingt es, den Bundesrat umzustimmen und die Grenzen für eine bestimmte Zeit wiedr zu öffnen.                             

Sie scheut sich nicht, eine Flüchtlingspolitik unmissverständlich zu kritisieren, die sie als klares Unrecht einstuft. Sie hat immer wieder für Einzelschicksale gekämpft und praxisnah argumentiert. Immer hat sie die politischen Entscheidungsträger auf ihrer menschlich-emotionalen Ebene angesprochen und es so geschafft, die Schweizer Behörden für die Schicksale der Flüchtlinge zu sensibilisieren. Getrud Kurz hat damit die humanitären Bestrebungen der Schweiz in der Mitte des 20. Jahrhunderts stark geprägt.

  • Gertrud Kurz wird am 15. März im appenzellischen Lutzenberg geboren. Sie wächst als Tochter der Textilfabrikanten-Familie Hohl auf.
    1890
  • Gertrud heiratet Albert Kurz und wird Mutter von 3 Kindern. Sie lebt in Bern.
    1914
  • Gertrud Kurz setzt sich für Schweizer Flüchtlinge ein.
    1942
  • Gertrud Kurz erhält den Ehrendoktortitel der Theologischen Fakultät der Universität Zürich.
    1958
  • Tod Gertrud Kurz
    1972

Gertrud Kurz erzählt

In einem ausführlichen Beitrag des Schweizer Fernsehens spricht Gertrud Kurz über ihr Leben und Lebenswerk. In den folgenden Passagen gibt sie ein beeindruckendes Resume ihrer Tätigkeiten und schildert in der ihr eigenen Offenheit und Eindringlichkeit ihre Ansichten.

(Quelle: © 2020 Schweizer Radio und Fernsehen, lizenziert durch Telepool GmbH Zürich)

Wie bist du zum christlichen Friedensdienst gekommen?

Wie sah ein Tag in deinem Arbeitsleben aus?

Flüchtlinge

"Ehepaare" und ihre "Kinder"

Welche Begegnung ist dir besonders in Erinnerung geblieben?

Schilderung einer Predigt im Deutschland der 30er-Jahre

Vergebung lernen

Welchen Ratschlag würdest du den heutigen Politkerinnen und Politikern geben?

Unser aller Verantwortung

Eine neue Welt

Stimmen zum 70. Geburtstag

Zur Gertrud Kurz 70. Geburtstag erschien ein Band mit dem Titel «Wege des Friedens». Darin sprechen Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Freunde und Familie ihren Dank an «Mutter Kurz» aus. Einige Beispiele sollen daraus im Folgenden zitiert werden.

Etienne Bach, Gründer der «Kreuzritter-Bewegung», aus der später der «christliche Friedensdienst» hervorgehen wird

«Un certain jour de l'an 1930, si je ne fais erreur, la première Bernoise qui se soit mise au service du Mouvement de Paix que Dieu m'avait inspiré, Mlle Dora Münger, me conduisit chez une dame qui, disait-elle, purrait être très préciuse pour notre cause. Dès le début de notre entretien, je compris que j'avais mission de lui adresser l'appel de al part de Dieu. Sa réaction ne me ruprit pas! "Etre membre, oui; mais collaboratrice, comment le pourrais-je avec les charges d'une grande famille et les responsabilités de fonctions antérieurs?" Mais l'Esprit savait que la partie était jouée. Depuis lors il ne s'est passé ni mois, ni année, sans que sa consécration à son ministère de réconciliation et de paix ne s'intensifie, au point de devenir sa véritable raison d'être.»

Emile Dallière, Pfarrer

«Je laisse à d'autres, mieux qualifiés, le soin de dire ailleurs dans cet ouvrage, ce que fut l'admirable sursaut d'amour qui anima l'oeuvre des Réfugiés sous l'impulsion de "Mutter Kurz". Par elle, la flamme brilla, d'autant plus claire que la nuit devenait plus noire.»

Max Petitpierre, Président de la Confédération | Bundespräsident

«A l'avant-garde de ceux qui ont apporté aux réfugiés non seulement une assitance matérielle, mais aussi une aide morale, se trouvait et se trouve aujourd'hui encore Madame Gertrud Kurz, dont nous célébrons le soixante-dixième anniversaire. D'innombrables réfugiés ont bénéficié de sa grande bonté et de ses sentiments profondément humains. [...] A l'occassion de cet anniversiare, nous assurons Madame Kurz de la gratitude du Conseil fédéral et du peuple suisse.»

Karl Barth, Theologe

«An Ihnen lag es nicht, dass die Einstellung der offiziellen Schweiz in der Flüchtlingsfrage in jenen Jahren eine Gestalt angenommen hat und behalten hat, an die wir alle uns nur noch mit Schamröte erinnern können. Es fehlte Ihnen dann auch nachher nicht an Nöten und Aufgaben, die Sie besonders im "Christlichen Friedensdienst" mit Hilfsbedürftigen und Helfern aus vielen Ländern zusammengeführt haben. Was mir dabei Eindruck machte, war immer dies, dass in Ihrer Tätigkeit die Besinnung und das Handeln, "Lehre und Leben" nicht, wie es so oft geschieht, auseinanderfielen, sondern zusammen blieben.»

Anni und Alfred Bürgi-Kurz, Tochter und Schwiegersohn

«Ihre appenzellische Heimat hat ihr einen warmen, unverwüstlichen Humor und daneben einen klaren Wirklichkeitssinn als Erbteil mit auf den Weg gegeben. [...] Wir drei Kinder (meine zwei Brüder und ich) wissen aus unserer Jugendzeit nichts anderes, als dass Mutter ihre Liebe nicht nur auf unseren Familienkreis beschränkte, sondern dass wir sie mit vielen anderen teilten und dabei doch nicht zu kurz kamen. [...] Sicher war es für Mutter auch nicht immer leicht, die grosse Aufgabe mit der einer Gattin und Mutter zu vereinen. Mutter hat es fertig gebracht, uns trotz der starken Inanspruchnahme mit unermüdlicher Liebe zu umsorgen, und später wurde diese Liebe auch auf die Enkelkinder ausgedehnt, die ihrerseits dem Grossmuetti innig zugetan sind. Unserem Vater erwuchsen aus der Begegnung mit Schützlingen von Mutter wertvolle Bekanntschaften und Freundschaften, die ihm sogar den Titel des "heimlichen Flüchtlingsvaters" eintrugen.»

Paul Vogt, Flüchtlingspfarrer

«Mutter kann sprechen. Und wie! So dass sie Tausende von Hörern im Hörsaal der Universität oder im Kirchenraum von Berlin in den Bann des Wortes bringt, oder dass im wunderschönen Castle "Oude Loo" aus dem 14. Jahrhundert in Holland I.M. Königin Juliana und I.K.H: Prinzessin Wilhelmina und Lady Roosevelt ergriffen lauschen. Denn Mutters Herz ist ganz erfüllt von dem, was die grossen Menschen einer kleinen Zeit und die kleinen Menschen einer grossen Welt erschüttert und bewegt. Weil Mutters Herz spricht und nicht nur der Kopf, wenn die Friedensfragen drängen und die Flüchtlingsnot bedrängt, darum wird es still um sie her im grossen Kongresshaussaal unter tausend quicklebendigen Jugendlichen oder um das Mikrophon im Freien bei gesetzten Alltagsmenschen oder im lieben "Sonneblickstübchen" in Walzenhausen unter den vom Leid der Gegenwart gekennzeichneten Kriegsgeschädigten.
Sprechen können viele. Mutter kann aber noch etwas, was viele nicht können. Mutter kann hören. Und wie!»

Leseempfehlungen

In den folgenden Publikationen finden Sie weitere Informationen zu Gertrud Kurz:

  • Wege des Friedens. Gertrud Kurz zum 70. Geburtstag, Zollikon 1960.
    Unterschiedliche kleinere und grössere Beiträge über das Leben und Wirken von Gertrud Kurz sind in diesem Band versammelt. Sie reichen von Gratulationen, persönlichen Berichten über die Zusammenarbeit, religiösen Themen bis zu Geschichte und Entwicklung der Bewegung «Christlicher Friedensdienst» im In- und Ausland.

Impressionen