«Nach zweitägiger Ruhe schifften wir uns auf dem Dampfschiff, das uns nach Beirut bringen sollte, ein. Unsere Kabine war nächst dem Maschinenhaus. Die Ohren mussten sich erst an den Lärm der Maschine gewöhnen, ehe wir in der ersten Nacht schlafen konnten. Den Kindern aber schien der gleichmässige Lärm ein Schlummerlied zu sein. Plötzlich weckte uns ein starker Knall, auf den ein merkwürdiges Pusten aus dem Maschinenraume folgte. Es musste etwas zerbrochen oder geplatzt sein. Was tun? Wir sahen schon vor uns, wie das Schiff sank, wie das Wasser zum Kabinenfenster einströmte und uns ein kühles Wassergrab bereitete. Wir waren gefasst, denn sterben wir, so sterben wir dem Herrn! Indes, als kein Wasser eindrang, das eigentümliche Pusten aber nicht aufhörte, kleidete ich mich an, um zu sehen, was geschehen war. Im Maschinenraum war unter dem Personal eine nicht geringe Aufregung. Eben stürzte der erste Maschinist halb angekleidet aus seinem Schlafraum heraus. Das Schiff wurde zum Stehen gebracht, die Maschine stand still. Ein Zylinder sei geplatzt, hiess es. Die Matrosen mussten Flaschenzüge und grosse Schraubenschlüssel herbeischleppen. Der Zylinder sollte ausgetauscht werden. Nach dreistündigem Aufenthalte, während welcher die meisten Passagiere nichts ahnend schliefen, begann der alte Schiffskasten die Fortsetzung seiner Fahrt. Aber mit dem gesunden Schlaf war es, besonders für meine Frau, in der Folge vorbei. Oftmals musste ich sie in den kommenden Nächten beruhigen. Sie wollte wieder merkwürdige Geräusche von Wasserpumpen usw. gehört haben. Zuweilen halfen meine Worte nichts, ich musste aufstehn, durchsuchte das ganze Schiff, wusste wohl, dass alles in Ordnung war, wollte sie aber beruhigen. Wir waren überaus glücklich, dass wir am vierten Tage endlich wieder festen Boden unter den Füssen hatten.
Von Beirut bis nach Aleppo kann man seit 3 Jahren in einem Tag mit der Bahn fahren. Der Weg führt erst in beträchtliche Höhen den Libanon hinauf, darnach abwärts in das Hochtal des Orontes und Leontes, und vorbei an Baalbek mit seinem Sonnentempel. Vor Horns fährt man an einem See vorbei. Horns selbst hatte im Herbst ein grosses Wasserunglück erlebt. Ende September überschwemmte ein Bach infolge eines Wolkenbruchs den grössten Teil der Stadt, wobei 500 Häuser einstürzten und nicht wenige Menschen ums Leben kamen. Hama zeichnet sich hauptsächlich durch seine vielen Schöpfräder aus, welche langsam, aber sicher dem Orontes Wasser entnehmen, um damit endlose Gärten zu bewässern. Wenn ich in der Türkei einen Reisewagen miete, sehe ich mir den Wagen und auch die Pferde erst genau an. Und doch wurde ich diesmal betrogen. Man zeigte mir drei volle, starke Tiere, aber als der Wagen, orientalisch spät, endlich vor unserem Hotel erschien, waren drei elende Klepper vorgespannt. Der Kutscher hatte mir also nicht seine, sondern andere Pferde gezeigt, als ich seinen Wagen mieten wollte. Wir wollten unsere Reise jedoch nicht noch verschieben. Misstrauisch setzten wir uns zu viert in den erst mit Bettwerk, Esskorb und vielem Gepäck gefüllten «Zigeuner-Wagen». Wir hatten uns mit den Kindern für die nächsten vier Tage in ein und einhalb Kubikmeter zu teilen. Aber es ging, es musste gehen. Und die mageren Gäule zogen und brachten uns weiter. Bab, ein kleines Araberstädtchen wurde am ersten, Bombudj, ein grosses Tscherkessendorf, am zweiten und Swindjy, ein Kurdennest, am dritten Tag glücklich erreicht, ohne dass ein Pferd verloren ging.
Der vierte Tag führte uns endlich nach Urfa. Wie wohl war mir und meiner Frau zumute. Jetzt waren wir am Ziele. Bald kamen uns auch die ersten Freunde entgegen, allen voraus mein geehrter und lieber Chef, Herr Dr. A. Vischer, dann kam die letzte Reisestunde. Voll Dank gegen Gott, der uns so glücklich ans Ziel gebracht, zogen wir in unsere neue Wohnung im Doktorhause ein. Auch hatten wir nichts von all unseren Sachen verloren und nichts war uns entwendet worden, wahrlich ein Wunder!
Es folgten zwar für unseren Sohn und dessen Vater noch einige kranke Tage. Das im Lande herrschende Dengfieber hatte sie ergriffen. Aber bald konnte ich im Spital wieder meine längst ersehnte Tätigkeit unter dem bunten Krankenheer aufnehmen.»